Landwirtschaft 2040 – Technologien für ein neues Wirtschaften
Drei Referenten präsentieren auf dem Bauerntag ihren Blick in die Zukunft
Walsrode (ccp). Ackerbau 2040: Das große Jahrhundert des Ackerschleppers ist vorüber. Über die Felder rollen Trägersysteme, die aussehen wie fahrbare Baugerüste. Je nach ihrem Arbeitsauftrag sind Sägeräte, Pflegeaggregate oder Erntemaschinen in den riesigen Rahmen gehängt. Schnurgerade ziehen sie auf einer Breite von 14 Metern ihre programmierten Bahnen. Satelliten steuern das Gefährt, Künstliche Intelligenz optimiert die Arbeitsabläufe und aus einer erhobenen Kanzel überwacht der Mensch die Technik.
Fleischerzeugung 2040: Viehställe bleiben unverzichtbar, aber die Produktion von Fleisch, Milch oder Fisch erfolgt zunehmend in großen Kesseln unter Nutzung technisch-biologischer Verfahren. Die Natur liefert nur noch die tierische Stammzelle als schöpferischen Ursprung. Nährmedien – zum Teil aus pflanzlicher Produktion – sorgen für das Wachstum der Zellkultur, die man am Ende des Reifeprozesses Fleisch nennt.
„Landwirtschaft 2040 – Technologien für ein neues Wirtschaften“ – unter diese Überschrift hatte der Landvolk-Kreisverband Lüneburger Heide seinen diesjährigen Bauerntag gestellt. Drei Referenten aus den Fachgebieten Fleischerzeugung und Landtechnik lieferten, was von ihnen erwartet war: Revolutionäre Zukunftsprojektionen. „Der möglichen Entwicklung so schonungslos ins Auge zu sehen, ist nicht ganz unproblematisch – schon gar nicht auf einem Bauerntag“, berichtete Henning Jensen, der als Landvolk-Geschäftsführer den Impuls für die Vortragsreihe gegeben hatte. Sollte der Berufsstand bewährte Geschäftsfelder wie die Tierhaltung selbst zur Disposition stellen? Sollte er Agrartechniken vorstellen, die weder in die Struktur noch in den gesellschaftlichen Auftrag der Landwirtschaft zu passen scheinen?
Henrik Rump, Vorsitzender des Landvolk-Kreisverbandes, nahm die Zweifel in seine Begrüßungsrede auf: „Viele sehen die Gefahr und die geschilderten Aussichten können Angst machen – aber es ist besser, in die Zukunft zu blicken, als ihr reumütig hinterherzusehen.“ Dabei ließ er keinen Zweifel, dass auch 2040 im Verbandsgebiet des Landvolks Lüneburger Heide eine erfolgreiche Landwirtschaft betrieben werde.
Wie die aussehen könnte, beschrieb Dr. Alexander Heuer von der Firma Meatosys aus Hamburg. Sein Unternehmen will die Erzeugung von Kulturfleisch oder zellulärem Fleisch nicht in einem konzentrierten Industriepark ansiedeln, sondern dezentral auf Bauernhöfen. So bietet Meatosys Container an, in denen die Fleischproduktion vor Ort ablaufen kann. Der Preis für ein schlüsselfertiges Komplettsystem wird mit einem Betrag „im unteren 6-stelligen Bereich“ angegeben. Die angepeilte Jahresproduktion beträgt 20 Tonnen. Der Landwirt ist bei diesem Modell eingebunden als Lieferant von Stammzellen, die aus Nabelschnüren neugeborener Kälber gewonnen werden. Das Material wird in ein Labor versandt und zurück kommen vorgefertigte Kartuschen mit Stammzellen und Kulturmedien. Der anschließende Wachstumsprozess im Bioreaktor dauert dann etwa 21 Tage. Abnehmer des fertigen Produkts ist Meatosys selbst.
Kooperationspartner auf der andren Seite der Herstellung ist das Pharmaunternehmen Merck in Darmstadt. Prof. Thomas Herget erläuterte auf dem Bauerntag in Walsrode Geschäftsidee und Stand der Entwicklung. „Wir sind nicht in der Erzeugung von Kulturfleisch tätig, sondern stellen die Nährlösung zur Fütterung der Zellen her“, sagte Herget. Für Landwirte interessant: von den 54 Komponenten, die in einer Nährlösung stecken, sind 41 pflanzenbasiert. Hier eröffnet sich möglicherweise ein neues Geschäftsfeld für den Ackerbau.
Merck hat vor etwa fünf Jahren das Innovationsfeld Kulturfleisch betreten und seine Forschung in Boston angesiedelt („weil man dort inzwischen besser arbeiten kann“). Die unternehmerische Entscheidung war plausibel, weil die Erzeugung von Nährlösungen für die Pharma-Industrie seit langem ein Spezialgebiet der Merck KGaA ist. Als erschwerend hat sich laut Herget aber herausgestellt, dass in der Pharma-Sparte die Qualität an erster Stelle steht und der Preis eine untergeordnete Rolle spielt. Bei der Zuarbeit für die Nahrungsmittelherstellung musste man allerdings lernen, dass der Preis die bestimmende Komponente ist. Das verzögerte die Entwicklung. „Für das Erreichen einer Preisgleichheit zwischen herkömmlicher Fleischerzeugung und kultureller Produktion ist das vom Veranstalter genannte Jahr 2040 aber realistisch“, sagte Herget. Derzeit ist das Produkt lediglich in den USA, Israel und Singapur zugelassen und auch hier ist die Erzeugung noch so gering, dass Restaurants nur wenige Tage im Monat das „New Meat“ auf der Speisenkarte führen. Herget selbst hat in San Francisco den Lachs aus der Retorte probiert: „Geschmacklich und farblich kein Unterschied zum Original – vielleicht etwas weicher.“
Beide Referenten erwarten für die nächsten Jahrzehnte einen Milliardenmarkt im alternativen Fleischsektor. Die Großen der Branche sind mit Nestle, Cargill und JBS bereits gut positioniert. In Europa sind die Niederländer und die Dänen mit ihren Forschungsprojekten am weitesten voraus. Treiber der Entwicklung ist die Frage, wie eine Weltbevölkerung, die in absehbarer Zeit die 10-Milliarden-Grenze erreichen dürfte, mit Proteinen versorgt werden kann, ohne den Planeten zu überlasten. Da gilt die herkömmliche Fleischerzeugung als hoffnungslos überfordert. Hier zitieren die Referenten Professor Nick Lin-Hi von der Universität Vechta. Der Wissenschaftler ist der Meinung, dass nur eine Sprunginnovation dem Wohlergehen des Planeten helfen kann. Diese Sprunginnovation sieht Lin-Hi in der Herstellung von Fleisch in einem Bioreaktor. Zelluläre Landwirtschaft sei in der Lage, den 30-prozentigen Anteil der Nahrungsmittelproduktion an der Treibhausgaserzeugung zu reduzieren. Die Frage der Welternährung, die CO2-Problematik und die Diskussion um das Tierwohl könnten durch die neue Technologie zumindest in Teilen gelöst werden.
Den ökologisch verantwortungsvollen Umgang mit Mutter Erde hatte auch Jens Willeke im Blick, als er auf dem Bauerntag das System der Bodenbearbeitung ohne Schlepper und Pflug vorstellte. Die Firma Nexat aus Rieste (Niedersachsen) hält die praktizierte Form des Ackerbaus mit schwerem Gerät und intensiver Bodenbewegung für nicht mehr zeitgemäß. Verdichtungen im Unterboden führen dazu, dass starke Niederschläge nicht in die Erde einsickern können und Erosionen herbeiführen. Südamerika sei dramatisch davon betroffen und auch in Europa sähen wir aufgrund vermehrter Extremwetterlagen eine steigende Tendenz der Zerstörung. Nexat setzt daher auf ein System, bei dem der Acker auf 95 Prozent nie befahren wird. Das entwickelte Trägersystem läuft jahrein jahraus immer auf der selben Spur im Abstand von 14 (9 bis 24) Metern. Dazwischen gibt es keinen Reifendruck und der Boden entwickelt mit Bewuchs und intensiver Durchdringung durch Regenwürmer einen großvolumigen Nährstoff- und Wasserspeicher sowie eine gesteigerte Fruchtbarkeit.
Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz und der Satellitensteuerung von Ackergeräten hat dem 2013 gegründeten Unternehmen mit 130 Mitarbeitern zum Durchbruch verholfen. Kunden sind Betriebe mit 1.500 Hektar Acker aufwärts, dabei sollten die Schlaggrößen über 10 Hektar liegen. Die Erstausstattung enthält das Trägersytem plus Gerätschaften für Aussaat, Pflanzenschutz und Ernte von Druschfrüchten. Ein Gerät läuft bereits in Sachsen-Anhalt, weitere 11 Stück sind weltweit im Einsatz. Ende 2024 will Nexat in die Serienproduktion gehen.
Die von Landvolk-Vorstandsmitglied Christoph Becker geleitete Diskussion am Ende des 14. Bauerntags konnte letzte Zweifel von Vorstand und Geschäftsführung auflösen. Das Thema Landwirtschaft 2040 war angekommen und die Strategie, vor möglichen Umwälzungen nicht die Augen zu verschließen, schien der allgemeinen Überzeugung zu entsprechen. Anschließend wandte man sich leichterer Kost zu und die Vorstellung, dass nicht Nabelschnüre die Basis der gereichten Speisen bildeten, mögen den Appetit noch gefördert haben.