„… dann kommt Milei mit der Kettensäge“
Gelungene Podiumsdiskussionen mit den Spitzenkandidaten der Parteien
Neuenkrichen (ccp). Eine hoch informative, effizient organisierte und thematisch klug eingehegte Podiumsdiskussion erlebten über 100 Besucher am 15. Januar 2025 im Schröershof in Neuenkirchen. Eingeladen hatte ein Bündnis aus mehreren Organisationen des ländlichen Raums, um den Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl im Wahlkreis 35 Rotenburg / Heidekreis die Möglichkeit zu geben, ihre Positionen zu Fragen der Agrar- und Gesellschaftspolitik auf dem Lande vorzustellen. Vertreten war die SPD durch ihren Parteivorsitzenden und Inhaber des Direktmandats Lars Klingbeil. Für die CDU saß Vivian Tauschwitz auf dem Podium. Omid Najafi (MdL) erläuterte als Kandidat der AfD die Position seiner Partei. Für die Grünen diskutierte Canina Ruzicka und Gurdan Kerti machte den Standpunkt der Freien Demokraten (FDP) deutlich.
Die Gastgeber, zu denen neben den Landvolk-Kreisverbänden Lüneburger Heide und Rotenburg / Verden auch die Landfrauen, die Landjugend und der Arbeitskreis Junger Landwirte gehörten, forderten die Politiker auf, konkrete Aussagen zu der von ihnen angestrebten Bundespolitik zu machen. Dabei ging es im ersten Abschnitt der Veranstaltung um die allgemeinen Lebensbedingungen im ländlichen Raum unter Berücksichtigung einer älter werdenden Bevölkerung, der Daseinsfürsorge, des Ehrenamtes und der Infrastruktur.
In einem zweiten Block wurde die Landwirtschaft in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Themen waren die Ergebnisse der Bauernproteste, Wege zum Bürokratieabbau und die Zukunftschancen von Landwirtschaft und Tierproduktion in Deutschland.
Diskussionsleiterin Bettina Brenning, Präsidiumsmitglied des Niedersächsischen Landfrauenverbandes, eröffnete die Fragenrunde mit der Grünen-Politikerin Canina Rudzicka. Die Wirtschaftswissenschaftlerin (21) stellte fest, dass viele junge Menschen dem Land den Rücken kehren. Sie möchte diesen Menschen neue Begegnungsorte in ihrer Heimat schaffen, um das Land attraktiver zu gestalten. „Zusätzlich brauchen wir Sicherheit für junge Familien“, sagte Rudzicka, der Staat müsse diese Personengruppe mit einem zusätzlichen Grundbetrag von 1000 Euro entlasten, damit sie Strom, Miete und weitere Grundbedürfnisse decken können. Das Ehrenamt nannte Rudzicka „einen Anker der Gesellschaft“. Man müsse diesen vereinbar machen mit den Herausforderungen von Beruf und Familie – zum Beispiel durch eine Bonuskarte für kulturelle Veranstaltungen oder für den öffentlichen Nahverkehr. Sie plädierte für den Abbau der Schuldenbremse zu Gunsten von Investitionen in die Infrastruktur. „Die Grundversorgung mit Wohnraum, Wasser und Strom gehört in Staatshand“, so Rudzicka weiter, dieser Versorgungsbereich sei nicht geeignet für Geschäftsmodelle mit Gewinnmaximierung. Für die Energieversorgung wünscht sich die Kandidatin Anlagen der Agri-PV, die eine Kombination von Stromerzeugung und Landbau ermöglicht.
Der Afd-Landtagsabgeordnete Omid Najafi (36) ist wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion in Niedersachsen. Vereine und regionale Veranstaltungen bezeichnete er als wichtige Elemente des gesellschaftlichen Lebens im ländlichen Raum. Daher möchte er diese Strukturen durch politische Maßnahmen stärken. „Mehr Geld zum Leben“ forderte er für größere Familien und will sich dafür einsetzen, dass diese mit einem steuerlichen Freibetrag von 75.000 Euro unterstützt werden. Bei der Bereitstellung von Leistungen zur Daseinsfürsorge bekennt sich Najafi zu einer konservativen Lösung: „Zurückkehren zu dem, was gut funktioniert hat.“ Die Energiewende bezeichnete er als gescheitert, wobei der Kernkraft-Ausstieg wegen der hohen Atomstromimporte aus Nachbarländern nur ein „quasi-Ausstieg“ sei. Najafi unterstützte einen breiten Energiemix unter Beteiligung der Biogastechnik.
Die CDU mit ihrer Spitzenkandidatin Vivian Tauschwitz (30) will mit einer gesicherten Rente und einer qualifizierten Bildungspolitik die Menschen im ländlichen Raum erreichen. Sie setzt auf die Zusammenarbeit aller vertretenen Akteure mit dem Ziel einer verbesserten Infrastruktur, die die Mobilität in der Fläche sicherstellt. Dabei spielt das Ehrenamt eine große Rolle, weil hier die Kompetenz vor Ort liege. Mit höheren Honorar-Pauschalen möchte sie die Leistungen attraktiver gestalten. Bei der Daseinsfürsorge stellte Tauschwitz eine beängstigende Unterversorgung an vielen Stellen fest. „Hier fehlt einfach Potential an Menschen und Einrichtungen.“ Das erfordere dringend eine Aufbesserung. Sie warnte vor Plänen der Bahn mit der ICE-Strecke durch die Heide, die Ergebnisse des Dialogforums gelte es zu verteidigen. Vergünstigte Ticketpreise „bringen vielen von uns nichts.“ Auch sie bekräftigte: „Biogas ins Netz!“
SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil rief in Erinnerung, dass 60 Prozent der Menschen im ländlichen Raum leben und erklärte es als persönliches Ziel, dass diese Regionen nicht von den urbanen Zentren abgehängt werden. Stichwort sei hier die ICE-Strecke durch die Heide, die ländliche Interessen missachtet und Lebensqualität mindert. Die Bahn habe Nachholbedarf im öffentlichen Nahverkehr. Dieser sei ein wichtiges Instrument einer erfolgreichen regionalen Entwicklung. Die Attraktivität des Lebens auf dem Lande nimmt nach Klingbeils Wahrnehmung allerdings zu – allein wegen der geringeren Kosten. Diesen Trend wolle er unterstützen. Die Verlagerung von Aufgaben an die Gemeinden ohne Verstärkung der kommunalen Finanzen könne so nicht funktionieren. Klingbeil will für einen Ausgleich im Budget der Gemeindekämmerer sorgen. „Biogas, Geothermie, Fotovoltaik, Wind und Speichertechnologien sind Chancen für den ländlichen Raum“, sagte Klingbeil, „wir wollen davon auch über einen ermäßigten Strompreis profitieren“.
FDP-Spitzenkandidat Gurdan Kerti (29) folgte in seiner Argumentation dem Leitgedanken seiner Partei, weniger mit staatlichen Eingriffen als vielmehr mit unternehmerisch angemessenen Rahmenbedingungen für sicher Arbeitsplätze zu sorgen. Sein Rezept für mehr Wachstum lautete: Bürokratie abbauen, Investitionen fördern, Steuern senken. Das Potential von Zukunftstechnologien dürfe nicht durch politische Verbote gebremst werden. Das Auto spiele neben gutem ÖPNV und einer starken Schiene auch weiterhin eine große Rolle – gerade im ländlichen Raum. Die E-Mobilität ist nach seiner Ansicht nicht zu Ende gedacht. Probleme möchte Kerti vermehrt durch Bürgerdialoge lösen.
Im zweiten Teil der Diskussion stellte Christoph Becker, Landwirt aus Wietzendorf / Reddingen, die Fragen zum Themenbereich Landwirtschaft und Ernährung. Unisono verurteilten die Kandidaten den erdrückenden Grad der Bürokratisierung und forderten einen Abbau. Einzig Lars Klingbeil wagte es, den Spieß einmal umzudrehen. „Bürokratie hat nicht nur mit Politik zu tun“, sagte Klingbeil und ermutigte zu mehr gegenseitigem Vertrauen ohne die Forderung, alles gesetzlich oder gerichtlich regeln zu wollen. „Wir dürfen auch mal was ungeregelt schiefgehen lassen – das müssen wir aushalten.“ Und weiter: „Wenn wir es nicht hinkriegen, das Leben einfacher zu machen, dann kommt am Ende ein Trump oder ein Milei mit der Kettensäge.“
Hier ein paar Kernsätze zu den aus den Statements der Kandidaten:
Tauschwitz (CDU): Die Proteste der Bauern vor einem Jahr waren richtig. Sie haben Recht, wenn sie sagen: Ohne uns geht´s nicht. Wir geben ein Bekenntnis ab zur Produktivität, wir müssen vor Ort erzeugen, das Outsourcen gerät ans Ende. Beim Mindestlohn sind Möglichkeiten der individuellen Lösung zu prüfen.
Najafi (AfD): Alles was hier nicht produziert wird, wird an anderen Orten der Welt unter schlimmen Bedingungen erzeugt. Unser Bemühen um eine gesunde Umwelt ändert nichts, wenn China sich nicht ändert. Schaffen wir ein investitionsfreundliches Klima, um die Flucht des Kapitals zu verhindern.
Kerti (FDP): Die Bauernproteste waren ein Weckruf für mich persönlich. Setzten wir auf die Eigenverantwortung der Bauern und entlasten sie von Dokumentationspflichten. Beim Mindestlohn muss es einzelbetriebliche Lösungen geben.
Rudzicka (Grüne): Wir sind hier für den Dialog, um von Ihrer Expertise zu lernen. Nutzen wir Digitalisierung und Vernetzung gegen die Dokumentationsflut! Stärken wir den Gemüseanbau und verringern wir die Abhängigkeit vom Eiweißimport. Buftis an die Schulen.
Klingbeil (SPD): Gesetze waren in ihrem Anspruch überhöht, sie waren gut gemeint aber schlecht gemacht. Marktmacht der Discounter brechen! Landwirtschaft ist unverzichtbar im ländlichen Raum.
Wer die einzelnen Statements der fünf Kandidaten noch einmal in voller Länge ansehen möchte, kann dies auf unserem Youtube-Kanal unter folgendem Link tun: https://www.youtube.com/@LandvolkKreisverbandLuneburger/shorts.