Rethem (ccp). Was passiert, wenn Aktivistinnen der Protestbewegung „Wir haben es satt“ drei Tage mit „Massentierhaltern“ auf einem Schweinemastbetrieb verbringen? Die spannende Begegnung fand jetzt auf dem Betrieb der Familie Oestmann in Rethem statt und brachte eine überaus positive Antwort: Man gewann auf beiden Seiten Respekt für das, was der andere macht und vor allem, in welcher Haltung er es macht.
Klara wohnt in Hamburg, Friederike kommt aus Bremherhaven. Beide sind 19 Jahre alt, haben gerade Abitur gemacht und bezeichnen sich als Aktivistinnen für Klima- und Tierschutz. Als das Bündnis „Wir haben es satt“ gemeinsam mit dem Deutschen Bauernverband das Projekt „Hof mit Zukunft“ vorstellte, haben sich beide für eine Teilnahme entschieden. Auf der bäuerlichen Seite war es Jochen Oestmann, der – wie 30 andere Berufskollegen auch – seinen Betrieb Mitte Juni als Gastgeber zur Verfügung stellte. Hof Oestmann ist der einzige konventionelle Schweinemastbetrieb, der bereit war, seine Hof- und Stalltore zu öffnen. „Respekt für den Mut“ sagt Friederike, denn mit 5.000 Mastplätzen gehört Ostmann zu den vermeintlichen Feindbildern der Protestbewegung.
Berührungsängste gab es zu Beginn des Treffens auf beiden Seiten. Friederike hatte Landwirtschaft zuvor als Berufsstand wahrgenommen, der seine Sicht der Dinge belehrend und wenig kompromissbereit vertritt. Umso erfreulicher empfanden die Gäste den guten Mix aus Diskussion, Interaktion und einer Menge Spaß. Malte (26), der Jüngste der drei Oestmann-Söhne, bekannte freimütig, dass auch für ihn der Begriff Aktivistin erst einmal negativ besetzt war – aber dann seien es doch „ganz nette Mädels“ gewesen. Lasse (28) fand es gut, einmal die Menschen kennenzulernen, die hinter den Schildern auf den Demos stehen. Ihm war bei diesem Treffen die Botschaft wichtig, dass Landwirte bestrebt sind, das Beste für Boden und Tiere zu tun. Auch wenn die Meinungsunterschiede über die vorgestellten Verfahren bestehen blieben, entwickelten sich Verständnis und Achtung für die andere Seite. „Unsere Gäste waren bereit, sich weitgehend vorurteilsfrei zu öffnen“, bekannte auch Jochen Oestmann, „ich weiß das zu schätzen, denn wir Bauern tun uns gelegentlich auch recht schwer damit.“
Kontroverser verlief die Diskussion, sobald es um fachliche Themen ging. Auch wenn die Aktivistinnen des Bündnisses „Wir haben es satt“ die Massentierhaltung verurteilen, blieb die Antwort vage, wo tolerierte Tierhaltung aufhört und Massentierhaltung beginnt. Der Bestand auf dem Hof Oestmann wurde jedoch eindeutig der kritischen Kategorie zugeordnet. „Besser als erwartet und positiv überrascht“ lautete das Urteil von Klara, während Friederike ihren Eindruck als „neutral und die Haltungsform als nicht unterstützenswert“ einordnete. Der Stall mit der Haltungsstufe 4 (Neubau / Einstallung am 16.4.2022 / Haltung mit Stroh und Auslauf) sei zwar besser als die Altställe aber nicht zufriedenstellend.
Ihre Wünsche zur Tierhaltung bezeichnen die Aktivistinnen selbst als „Utopien“. Dazu gehört eine deutliche Reduzierung der Tierzahlen auf kleinen Biobetrieben mit Außenhaltung. Friederike wünscht sich die Verbreitung der Erkenntnis, dass Tiere Leid empfinden und die Menschheit sich den Luxus des Fleischverzehrs auf Kosten der Tiere gönnt. Das sei nicht akzeptabel, sagt Friederike, die sich wie ihre Kollegin Klara vegan ernährt. Hier greift der Chronist der Landvolk-Zeitung, der die Diskussion mit örtlichen Pressekollegen auf dem Hof Oestmann verfolgt, noch einmal zum veganen Keks und der veganen Schokolade, die auf dem Tisch kreisen. Kurze Frage an Rita Oestmann, die ihre Gäste in Vollpension versorgt, was denn heute auf den Tisch kam: Mittags Lasagne – ein Schüssel mit Linsen, eine Schüssel mit Hackfleisch. Zum Frühstück Hummus als Brotaufstrich.
Das Gespräch hat sich inzwischen der Organisation des Oestmannschen Betriebes zugewandt. 530 Hektar befinden sich in eigener Bewirtschaftung, 100 Hektar werden in Dienstleistung für andere Betriebe versorgt. Die Arbeit teilen sich Jochen und Rita Oestmann mit ihren drei Söhnen und vier familienfremden Arbeitskräften. Neben dem Ackerbau gehört eine Biogasanlage mit einer installierten elektrischen Leistung von 1,5 MW zum Betrieb. Zudem werden auf der ursprünglichen Hoftstelle 3.500 Mastschweine gehalten, ein weiterer Betriebsteil verfügt über 1.500 Plätze der Haltungsstufe 4 mit besonderem Tierkomfort. Leider, so Betriebsleiter Lasse Oestmann, bleiben Nachfrage und Preisaufschlag für die Premium-Erzeugnisse weit hinter den Erwartungen zurück. „Wir brauchen 50 Cent je Kilo über Basisnotierung, erlösen aber nur 30 Cent mehr und haben auch schon mal zum konventionellen Preis verkaufen müssen.“ Die alten abgeschriebenen Ställe müssen – so Lasse – den neuen Stall quersubventionieren.
Was ist zu tun, damit der Verbraucher mit seinen Kaufentscheidungen mehr Verantwortung übernimmt? Klara und Friederike tendieren eindeutig zu einer höheren staatlichen Aktivität für Klima- und Tierschutz. Bereitstellung von Finanzmitteln, Markteingriffe, höhere Mehrwertsteuer für Fleisch, Leistungsanreize, aber auch Reglementierung und Verbote gehören für sie zu den geeigneten Instrumenten. Auch wenn sich die junge Generation tendenziell bewusster für Klima- und Tierschutz einzusetzen scheint, genügt diese Aktivität nicht. Ihr Ruf nach dem Staat ist deutlich – gleichzeitig vermissen die jungen Frauen aber den politischen Willen für einen wirklichen Wandel.
Auf dem Grill der Familie Oestmann ist der Wandel zumindest in Teilen vollzogen. Nach dem Pressegespräch geht es nahtlos über in einen Austausch mit Landwirten aus der Region und auf dem Rost liegen Grillkäse und vegane Bratwurst neben dem Nackensteak vom Schwein.
BU: Engagiert, gelegentlich kontrovers – aber immer respektvoll und ungezwungen verlief das Treffen der Aktivistinnen mit der Familie Oestmann in Rethem. Hier eine Szene aus dem Pressegespräch mit Jochen Oestmann, seinen Söhnen Lasse und Jan-Ole sowie den Teilnehmerinnen Klara und Friederike (v.l.). Foto Precht.