Vierde (ccp). „Wir kommen aus einem der erfolgreichsten Wirtschaftsjahre und trotzdem ist die Stimmung in der Landwirtschaft so schlecht wie selten zuvor.“ Im Spagat zwischen einem überwiegend positiven Marktbericht und der Darstellung einer sich erneut anbahnenden Dürre sowie einer zunehmender Regulationsdichte fiel es selbst dem Landvolk-Vorsitzendem Jochen Oestmann schwer, beim Pressegespräch in Vierde die Lage der Landwirtschaft auf eine plausible Formel zu bringen.
Die erneute Frühsommer-Trockenheit – die vierte innerhalb von fünf Jahren – führt nach Oestmanns Worten die Bedrohung durch den Klimawandel unmissverständlich vor Augen. Ende Juni zeigten die Getreidefelder im Heidekreis bereits großflächige Schäden. Mindererträge und Qualitätsabschläge werden unvermeidlich sein.
Positive Effekte erwartet die Landwirtschaft durch die energetische Nutzung der Wind- und Solarkraft. Auch die Biogas-Erzeugung, die wegen hoher Stromerlöse auf ein phantastisches Jahr zurückblickt, hat nach Ansicht des Landvolk-Vorsitzenden Zukunftspotential. Die Schwerpunkte veränderten sich zwar, aber als Epizentrum der Biogasproduktion sei der Heidekreis in der Lage, mit seiner Expertise einen neuen Entwicklungspfad zu erschließen. Ob dazu die Direkteinspeisung von Methan ins Gasnetz gehört, wollte Oestmann nicht abschließend bewerten. Auf jeden Fall herrsche hier Goldgräberstimmung und rein theoretisch sei dies auch der richtige Weg.
Den Getreidemarkt sieht Oestmann von psychologischen Effekten beeinflusst, deren Ursache u.a. im Ukraine-Krieg liegen. Trockenheit in vielen Anbauregionen führten außerdem zu tendenziell steigenden Preisen. Auch Zucker erklimmt am Spotmarkt lange nicht gekannte Kursmarken, sodass das Umfeld für Rübenanbauer wieder freundlich erscheint. Verarbeiter von Kartoffeln legen ungeplante Werksferien ein, weil Rohware fehlt. Das knappste Gut auf dem deutschen Agrarmarkt sind jedoch Ferkel. Sie erfreuen sich einer außerordentlich guten Bewertung. Trotz der sinkenden Nachfrage nach Schweinefleisch suchen Schlachtstätten Schweine und bezahlen sie mit Höchstpreisen. Der Grund: Viele Ferkelerzeuger, die früher den Markt belieferten, haben ihre Ställe dichtgemacht und auch die Mäster sind in großer Zahl ausgestiegen. „Edelteile wie Schinken und Kotelett werden in großen Mengen aus den Niederlanden und Frankreich importiert“, berichtete Oestmann.
Ein anschauliches Beispiel für den Strukturbruch in der Schweinehaltung bietet die Staußenfarm von Marcel Hambruch, wo das diesjährige Vorerntegespräch mit Vertretern der örtlichen Presse stattfand. Hambruch hat schon vor Jahren die Sauenhaltung aufgegeben und inzwischen auch die Schweinemast eingestellt. Geringe Rentabilität, unkalkulierbare gesetzliche Vorgaben sowie die sinkende Akzeptanz des Betriebszweiges haben den Impuls zu einem mutigen Schritt in die Zukunft gegeben: Seit 2017 betreibt Hambruch seine Straußenfarm in Vierde. Von der Paarung der Elterntiere über die Brut der Eier, die Aufzucht, die Schlachtung und die Vermarktung von Straußenfleisch befindet sich alles in betrieblicher Hand. Seine Ackerflächen hat Marcel Hambruch weitgehend verpachtet, erhält von seinen Pächtern aber Maissilage zurück. Sie bildet die Futtergrundlage für die derzeit 80 Tiere, die demnächst durch das Schlüpfen der jüngsten Generation auf 250 anwachsen soll. Vermarktet wird direkt ab Hof im komfortabel eingerichteten Hofladen. Den größten Umsatz liefert jedoch der Online-Shop, der international besucht wird.
Seit einigen Monaten bereichern zwei Tiny-Häuser das Hofbild, daneben bieten Stellplätze für Wohnmobile Gelegenheit zu kurzfristigen Stopps – der freie Blick auf die Straußenwiese ist im Angebot inbegriffen.
BU: Landvolk-Geschäftsführer Henning Jensen (l.) und Vorsitzender Jochen Oestmann informierten Vertreter der örtlichen Presse über den Stand der Früchte und die Marktlage im Heidekreis. Gastgeber Marcel Hambruch (Mitte) stellte seine Straußenfarm vor. Foto: Precht